Seit Montag Abend befinde ich mich im Zustand des Tilt. Pokerspielern wird es ein Begriff sein, Tilt ist wenn man aufgrund persönlicher Stimmung suboptimale Entscheidungen trifft. In den ersten zwei Tagen habe ich große Losings eingefahren, doch das hat mich kaum besorgt. Jedoch merke ich, dass ich in den letzten zwei Tagen Fehler mache, die meine Winrate massiv nach unten drücken. Frustration und Selbstzweifel beeinflussen bei mir derzeit meine Entscheidungen. Ich glaube, ich tilte nicht wegen der Resultate, sondern der trivialen Fehler, die ich mache. Ich habe nicht besonders Pech, gefühlt eher sogar Glück, aber meine Winnings stagnieren im Breakeven-Bereich.
Ich habe in zwei Tagen 13.5h Volumen reinbekommen – deutlich weniger, als ich mir vorgenommen hatte zu spielen. Vielleicht wäre es vorteilhaft, im Aria oder in unmittelbarer Nähe zu wohnen, um zwischen den Sessions Ruhepausen vornehmen zu können. Insgesamt ist der Lifestyle sehr anstrengend, weil man kaum zur Ruhe kommt. Im Pokerraum hört man ständig das Klirren der Automaten des Casinos, mitlerweile habe ich einen Ohrwurm von der Musik eines der Automaten. Dum, du-du-dududuuum, du-du-dududuuum…
Wir starteten den Montag nach einem klassischen amerikanischen Waffelfrühstück mit einer kurzen Session im Caesar’s Palace, einem Luxushotel mit Marmorböden, römischen Statuen und wirklich abartigem Kaffee. So wie alle Getränke ist dieser im Casino umsonst ($1 Trinkgeld sollte man geben). Da K. und C. an einem Tisch voller Nits saßen, sind wir schnell wieder in unser Lieblingscasino gegangen. Ich hätte meinen Tisch eigentlich ganz gerne gespielt, aber die Aussicht auf Siebträger-Espresso im Aria setzte auch mich in Bewegung. Außerdem hatte jeder von uns im Aria bislang die höchsten Winnings.


Nach einer Session am Nachmittag dort erreichte ich Montag zur Zeit des Dinners einen Peak des Gesamtwinningstandes in Höhe von $1500! Mensch, ist das ein hervorragendes Gefühl, die Stakes zu „crushen“! Dabei habe ich einfach nur in zwei Situationen, in denen meine Gegner starke Hände hatten, selbst eine noch stärkere bekommen. Nur wenige Stunden später verlor ich alle diese Winnings in einer -$700-Session, die ich zu müde gespielt habe und mich deshalb nichtmals an jeden großen Pot erinnere.
Ich merke, dass ich etwas moneyscared gespielt habe. Ich habe Angst, wieder ins Minus zu rutschen, weil es das Gesamtergebnis des Vegas-Trips symbolisch massiv verschlechtern würde. Die Zahl, die ich am Ende des Blogs poste, darf nicht mehr rot werden! Ich nehme Donkbets der Fishe plötzlich viel zu ernst, gebe dem Fish in den Situationen eine viel zu starke Range und calle, statt zu raisen, wie ein richtiger Fish, wie in folgendem Beispiel:
HERO HJ K♠9♠ STACK 400 EFFECTIVE
UTG CALL 3
UTG1 CALL 3
HERO RAISE 21
SB CALL
BB CALL
UTG CALL
UTG1 CALL
FLOP 10♠4♠2♣
Everyone checks
TURN K♥
SB BB UTG UTG1 X
HERO BET 50
SB CALL
BB UTG UTG1 FOLD
RIVER 7♠
SB BET 50
HERO CALL
Hier bekomme ich auf dem River den Second Nut Flush mit K♠9♠. Jedoch calle ich auf die Donkbet des Fishes am River nur, statt zu raisen, weil ich nur Flushes in der Range des Fishes sehe und denke, dass ich mich mit einem Raise gegen seinen Nutflush isoliere. Der Fish zeigt mir Top Pair Good Kicker, ich hätte nicht gedacht, dass er das hier überhaupt bettet. Ist mir etwa einfach das „all-in $300“ nicht über die Lippen gekommen, weil ich Angst hatte, zu verlieren? Dadurch lasse ich gegen die Range des Fishes wortwörtlich das Geld liegen. Eier, es braucht Eier! Diese Hand versetzte mich völlig in den Tilt.

Später sitze ich mit $900 am Tisch, weil ich mich nach $400 Losings in der Session mit weiteren $500 nachgekauft habe. Mein Tisch ist richtig saftig, wodurch ich auch meine Losses in der Session chasen konnte, doch plötzlich stehen zwei Wale auf und der Tisch bricht auseinander. Ich folge dem anderen Wal an einen neuen Tisch, auf dem zwei Plätze frei sind, doch der Wal beschließt sich an einen NL $2/$5 – Tisch zu setzen. Nichts wie hinterher, denkt sich mein getiltetes Entscheidungszentrum, und ich setze mich links vom Wal. Einen Sitz weiter rechts habe ich schon am Vortag anhand seines Verhaltens einen Spieler als Wal identifizieren können. Ich sollte Recht behalten, auch dieser spielte quasi jede zweite Hand und kämpfte um fast jeden Pot. Mein gechaster Wal tightete die ersten Orbits ab, bevor er dann wieder etwas weicher wurde. Die Regs am Tisch, ein junger Dude Mitte 20 und ein südosteuropäisch gelesener 35-jähriger mit tätowierten Armen, sahen echt abgezockt und angsteinflößend aus. Die $1/$3-Regs sind dagegen eher bemitleidenswerte Existenzen, aber dazu später. Ich hatte einen sehr saftigen Spot, aber das Limit ist tendenziell zu hoch für meine Bankroll von $6000 (Winnings + Stop-Loss-Limit), und meine Winnings verlieren will ich sowieso am liebsten nicht. Nachdem ich $250 auf- und abwärts geschwungen bin, verließ ich meinen Honigspot am $2/$5-Tisch mit -$42.
Zum Abschluss gab es eine kurze Mini-Winningsession im Wynn. Mein Tisch hatte zwei überagressive Wale, der erste stand leider bald auf und der zweite Wal zahlte das Bottom Set eines Regulars aus. Interessant, wie viel eine Diskussion über elementare Wahrscheinlichkeitstheorie über die Spielertypen verrät! Den Regular kannte ich vom Vortag aus dem Aria, er hatte mich ziemlich fertig gemacht. Am Ende ist die Bankroll immer noch nicht vierstellig:


Mittwoch ist Grand-Canyon-Pause, bevor es dann in den letzten Wochenendgrind vor Abflug geht. Wir haben uns aufgrund leichter Erkältungen gegen den South Rim entschieden und buchten eine Bustour zum nähergelegenen West Rim. Ein pokerfreier Tag wird mir sicher gut tun!
